Österreich ist frei!
Nach 7 Jahren des Nicht-Bestehens und 10 Jahren der Besetzung durch fremde Truppen erfolgte am 15. Mai 1955 mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages die Wiederherstellung Österreichs als souveräner, unabhängiger und demokratischer Staat.
Mit der Moskauer Deklaration im Jahr 1943 gaben die alliierten Mächte USA, Großbritannien und UdSSR die Absicht bekannt, nach Kriegsende den Staat Österreich als eigenständigen und souveränen Staat wiederherstellen zu wollen. Es sollte jedoch noch bis zum Jahr 1955 dauern, bis es tatsächlich so weit war.
Besatzung
Das Staatsgebiet Österreichs wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg zwar in den Grenzen, wie sie bis zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 bestanden hatten, wiederhergestellt, jedoch von Truppen der USA, der Sowjetunion, Frankreichs und Großbritanniens besetzt und dazu in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Wien wurde von den vier Besatzungsmächten gemeinsam verwaltet und dazu in vier Sektoren geteilt. Die Innere Stadt wurde als interalliierter Sektor von allen vier Besatzungsmächten gemeinsam verwaltet.
Am augenscheinlichsten zum Ausdruck kam die gemeinsame Verwaltung durch die "Interalliierte Militärpatrouille" - eine multinationale Militärstreife gebildet aus Militärpolizisten der vier Besatzungsmächte. Bekannt wurde diese unter der Bezeichnung "Die Vier im Jeep".
Für die Kosten der anfangs 700.000 Mann starken Besatzungstruppen, musste der Staat Österreich aufkommen. Im Jänner 1946 befanden sich noch rund 150.000 sowjetische, 40.000 US-amerikanische, 55.000 britische und 15.000 französische Soldaten im Land. Im Oktober 1954 belief sich das sowjetische Kontingent auf 36.000 Mann, das US-amerikanische auf 15.000, das britische auf 2.800 und das französische auf 540.
Um die Grenzen zwischen den einzelnen Besatzungszonen zu überschreiten, bedurfte es eines viersprachigen Identitätsausweises und einer Reiseerlaubnis. Zwischen den Zonen der westlichen Mächte kam es bald zu Reiseerleichterungen; das Überschreiten der Demarkationslinie zur sowjetischen Zone oder aus dieser gestaltete sich hingegen schwierig. Die sowjetischen Kontrollen wurden erst im Juni 1954 beendet.
Die gesamten zehn Jahre der Besatzung stand Österreich unter der Verwaltung der Alliierten Kommission für Österreich. Dem Alliierten Rat waren von der Bundesregierung alle vom Parlament beschlossenen Gesetze vor ihrer Kundmachung zur Genehmigung vorzulegen. Wurde die Zustimmung nicht erteilt, konnte das Gesetz nicht in Kraft treten.
Schon kurz nach dem April 1945 wurden deshalb die Alliierten in Österreich nicht mehr als Befreier, sondern vor allem als Besatzer gesehen.
Opfer des Kalten Krieges
Die immer stärker werdenden Gegensätze zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten verringerten die Chancen auf einen Abzug der fremden Truppen. Zahlreiche Verhandlungsrunden der vier Mächte mit Österreich verliefen ergebnislos. Österreich wurde jahrelang Spielball der weltpolitischen Auseinandersetzungen im Zeichen des Kalten Krieges. Die Gefahr einer Teilung des Landes stand im Raum. Trotz aller Gegensätze erfolgte aber weiterhin eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Alliierten Rat sowie in der gemeinsamen Verwaltung von Wien.
Option Neutralität
Die Verhandlungen kamen erst nach dem Tod Josef Stalins, dem Regierungschef der UdSSR, im Jahr 1953 bzw. mit einer neuen politischen Option wieder in Gang: Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz.
Die Sowjetunion sorgte sich nämlich vor einer Vereinnahmung Österreichs durch die westlichen Alliierten und dessen Integration in die 1949 gegründete NATO. Andererseits befürchteten die westlichen Staaten eine Teilung des Landes ähnlich der Situation in Deutschland – die Gründung der DDR war am 7. Oktober 1949 erfolgt - und einen Verbleib der sowjetischen Truppen auf österreichischem Staatsgebiet. Die Ankündigung der Verpflichtung Österreichs eine immerwährende Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz und somit den Verzicht auf einen Beitritt zu einem Militärbündnis sowie die Nichtzulassung militärischer Stützpunkte auf seinem Gebiet festzuschreiben, bildete einen Ausweg aus der Situation.
Moskauer Memorandum
Im Frühjahr 1955 gelang es einer österreichischen Regierungsdelegation eine Lösung auszuhandeln, die den sowjetischen Ansprüchen genügte und von den Westmächten, die der von Moskau favorisierten Neutralität anfänglich skeptisch gegenüberstanden, akzeptiert wurde.
Im Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 wurde die immerwährende Neutralität Österreichs als eine Voraussetzung für den Staatsvertrag, nicht aber als Bestandteil desselben festgelegt. Die österreichische Haltung dazu war nämlich, dass die Neutralität vom souveränen Österreich erklärt werden sollte. Ebenso wurde die Frage des durch die Sowjetunion beanspruchten ehemaligen Deutschen Eigentum gelöst.
Der Weg zum Staatsvertrag war damit frei!
Staatsvertragsunterzeichnung
Am 15. Mai 1955 wurde im Schloss Belvedere in Wien von Vertretern der alliierten Besatzungsmächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien sowie der österreichischen Bundesregierung der "Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, gegeben zu Wien am 15. Mai 1955" (kurz: Österreichischer Staatsvertrag) unterzeichnet.
Bei der Vertragsunterzeichnung fielen als Abschlusssatz der Dankesrede von Außenminister Leopold Figl auch die berühmten Worte“ Österreich ist frei!“
Der Staatsvertrag besteht aus einer Präambel und 9 Teilen. Die wichtigsten politischen Bestimmungen beziehen sich auf die Wiederherstellung Österreichs als freien und unabhängigen Staat, die Wahrung der Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit Österreichs durch die Alliierten und die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch Deutschland. Der Vertrag enthielt außerdem Einschränkungen der Bewaffnung Österreichs, Verpflichtungen gegenüber den Minderheiten in Österreich und Reparationen an die Sowjetunion in Form von Erdöllieferungen.
Der Vertrag wurde am 8. Juni vom österreichischen Nationalrat ratifiziert und trat nach der Ratifizierung durch alle Signatarstaaten am 27. Juli 1955 in Kraft. Österreich war damit wieder ein voll souveräner Staat geworden.
Das Original des Staatsvertrags befindet sich im Staatsarchiv des Außenministeriums in Moskau. Im österreichischen Staatsarchiv ist nur eine Abschrift vorhanden. Im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich ist ein vollständiges Faksimile des Österreichischen Staatsvertrags ausgestellt.
Abzug der Besatzungstruppen
Für den Abzug der Besatzungssoldaten war im Vertrag der Zeitraum bis längstens 90 Tage nach Inkrafttreten vereinbart - somit bis 25. Oktober 1955.
Die oft getätigte Aussage, dass am 25. Oktober 1955 der letzte sowjetische Soldat Österreich verlassen habe, ist falsch. Dies geschah bereits am 19. September. Andererseits befanden sich noch am 29. Oktober 1955 einige wenige britische Soldaten in der Kaserne Klagenfurt-Lendorf.
Österreich war damit nach 17 Jahren „wieder frei“ wurde und hat seine volle Souveränität wiedererlangt. Österreich war auch der einzige europäische Staat, der nach 1945 bis zur Auflösung des Warschauer Paktes im Jahr 1991 auf friedlichem Weg frei von allen Besatzungsmächten wurde.
Neutralitätsgesetz
Das Bundesverfassungsgesetz, in dem Österreich "aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität" bekundet und sich verpflichtet, keinen militärischen Bündnissen beizutreten, beschloss der Nationalrat am 26. Oktober 1955, dem Tag nach dem Ablauf der Frist für den Truppenabzug. Dieser Tag wurde zehn Jahre später vom Nationalrat zum Österreichischen Nationalfeiertag bestimmt.
Verfasser
Oberst Thomas Lampersberger